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Fliessbandarbeit macht glücklich

Dauernd sah man Felix lächeln. Immer nur lächeln, egal, womit er sich gerade beschäftigte. Ob er sich die Schuhe band oder die Zähne putzte, ob jemand ihn lobte oder tadelte, immer hatte er dieses Lächeln auf den Lippen und in den Augen. Sogar im Schlaf wich das Lächeln nicht von seinem Gesicht. Das Erstaunlichste jedoch war, dass selbst viele Jahre Nervenklinik dieses Lächeln nicht trüben konnten. Wenn man Felix fragte, warum er die ganze Zeit lächle, antwortete er strahlend:
«Weil ich glücklich bin!»
Wenn man ihn weiter fragte, warum er denn glücklich sei, steigerte sich seine gute Laune noch, und er begann, seine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen:

Ich weiss nicht mehr genau, wie lange es her ist, seit ich mein Glück gefunden habe. Mit der Zeit hatte ich schon immer Schwierigkeiten und da geschieht es manchmal, dass ich sie ein bisschen durcheinanderbringe. Das ist aber gar nicht so schlimm, weil Zeit ja vergeht und trotzdem immer da ist. Und überhaupt, weshalb sollte man sich Gedanken machen über etwas, das man doch nicht fassen und verstehen kann? Auf jeden Fall hat alles während der schweren Wirtschaftskrise begonnen, die dann aber zum Glück doch nicht so lange anhielt, wie man anfänglich befürchtete. Wenn ich mich richtig erinnere, dauerte sie nur ein Jahr. Vielleicht waren es aber auch zwei Jahre oder ein halbes. Doch das ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist, dass auch ich zu jenen Unglücklichen gehörte, die ihre gutbezahlte Stelle verloren. Das traf mich hart, denn ich hing an meiner Arbeit, besonders, weil ich mein ganzes Leben in dieser Firma verbracht hatte und mich während dieser langen Zeit langsam hochgearbeitet hatte, bis hin zum Abteilungsleiter. Doch dann ging es der Firma immer schlechter und schliesslich musste sie eines Tages Konkurs anmelden. Ich war ausserordentlich traurig darüber. Aber wenigstens glaubte ich, mir keine Sorgen machen zu müssen, dass ich lange arbeitslos bleiben würde, denn meine Chancen, eine neue Arbeit zu finden, standen gut. Schliesslich hatte ich es in meinem Leben zu etwas gebracht, hatte bewiesen, dass ich zuverlässig, treu und fleissig war. Ausserdem hatte ich mich immer weitergebildet und mir so im Laufe der Zeit viel Wissen angeeignet. Und dann war es ja nicht meine Schuld, dass die Firma Konkurs machte und ich meine Stelle verlor. Zuversichtlich meldete ich mich deshalb beim Arbeitsamt.

Doch die Tage vergingen, wuchsen zu Wochen und die Wochen wandelten sich in Monate, ohne dass ich eine Stelle fand, die zu mir passte. Anfänglich machte ich mir keine grossen Sorgen um die Zukunft, sondern trauerte immer noch meinem bisherigen Leben nach, das so plötzlich vergangen war. Allmählich aber verblassten Erinnerung und Trauer und verloren sich auch irgendwo in der Vergangenheit. Ohne Erinnerung und Trauer fand ich mich eines Tages in der Gegenwart wieder. Hier hatte ich plötzlich viel Zeit, die ich irgendwie ausfüllen musste. Das gelang mir nicht. Wahrscheinlich, weil ich das nie gelernt hatte, vielleicht aber auch darum, weil die Stunden in der Gegenwart so viel länger dauerten als die in der Vergangenheit. Deshalb, und weil ich die Hoffnung inzwischen verloren hatte, eine geeignete Arbeit zu finden, entschloss ich mich, mir irgendeine Stelle zu suchen, die nicht zu mir passte.

Eines Tages schliesslich hatte ich Glück, und ich fand eine Fliessbandarbeit in einer grossen Schraubenfabrik. Früh um sechs stand ich am Fliessband bis abends um sechs oder länger. Ich sortierte grosse Schrauben, kleine Schrauben, dicke Schrauben, dünne Schrauben, lange Schrauben, kurze Schrauben, runde Schrauben, vier-, fünf- und sechseckige Schrauben, Schrauben, Schrauben, Tausende von Schrauben. Eine Maschine dirigierte dem Fliessband, und somit auch mir, die Geschwindigkeit. Sie war erbarmungslos, und ich war hoffnungslos überfordert mit dem von ihr vorgegebenen Tempo. Unaufhörlich trug das schwarze Band die Schrauben unter meinen Händen weiter und brachte immer mehr davon. Es gab keine Möglichkeit, die Maschine langsamer zu schalten oder gar abzustellen. Da war bloss ein Hebel, mit dem man das Tempo noch erhöhen konnte.

Es waren schreckliche Tage damals. Fast noch schlimmer als früher, als ich die Zeit nicht ausfüllen konnte. Auch die Nächte waren nicht glücklicher. Nacht für Nacht träumte ich von Maschinen, Fliessbändern und Schrauben, die mich als Sklaven hielten und mit Peitschenhieben zur Arbeit trieben. Morgen für Morgen erwachte ich schweissgebadet und abgekämpft. Tag für Tag begleitete mich die Angst zur Arbeit und wurde immer schlimmer. Trotzdem schaffte ich den täglichen Gang ans Fliessband und sortierte Schraube um Schraube, geriet in Rückstand, pendelte zwischen Verzweiflung und Wut auf die erbarmungslose Maschine, kämpfte weiter, sortierte Schraube um Schraube und dies 12 oder 14 oder was weiss ich wie viele Stunden täglich, ausser sonntags. Sonntags versuchte ich, wieder zu neuem Atem und zu Kräften zu kommen. Meistens stieg ich dann zeitig aus dem Bett, um meinen Alpträumen zu entfliehen, und manchmal gelang mir das auch. Aber oft verfolgten sie mich den ganzen freien Sonntag lang, so, dass ich einfach keine Ruhe finden konnte. Es gab nichts in jener Zeit, was mir half. Kein Spaziergang, kein Fernsehprogramm, keine Musik, keine Freunde, ja nicht einmal der Alkohol liess mich vergessen.

Allmählich aber lernte ich die gewissen Kniffe am Fleissband und wurde immer geschickter und flinker im Umgang mit den Schrauben, bis ich schliesslich mühelos mit der von der Maschine diktierten Geschwindigkeit mithalten konnte. Trotzdem hatte ich nicht vergessen, was diese verfluchte Ansammlung von Metallteilen mir all die Wochen (oder waren es Monate?) angetan hatte, und ich wusste, irgendwie musste ich mich an ihr rächen, um meinen Seelenfrieden zu finden. Da fiel mir der Geschwindigkeitsregler ein, und er brachte mich auf eine Idee. Ich fragte mich, ob es wohl möglich wäre, mein eigenes Tempo so zu erhöhen, dass die Maschine überfordert war. Nun, ich musste es einfach versuchen. Also begann ich, wie ein Besessener Schrauben zu sortieren. Es gelang mir tatsächlich, immer schneller zu werden, bis ich den Geschwindigkeitsregler schliesslich auf die höchste Stufe stellen konnte und die Maschine trotzdem noch zu langsam für mich war.

Einen ganzen Tag lang erniedrigte ich die Maschine, indem ich ihr zeigte, dass sie selbst bei Höchstgeschwindigkeit zu wenig Leistung brachte. Ganz unten am Fliessband begann ich mit meiner Demonstration. Ich entriss ihm Schraube um Schraube und arbeitete mich langsam vor, bis ich schliesslich kurz vor Feierabend vor der Maschine stand, welche das Fliessband mit den Schrauben ausspie. Sie war während diesem Tag so heiss gelaufen wie noch nie zuvor. Ich schrie sie an:
«Ha, du dummes Ding, gib endlich auf, du hast keine Macht mehr über mich! Sieh nur her, keine einzige Schraube liegt mehr auf deinem Band, alle weg, aus und vorbei!»

Das gab der Maschine den Rest. Mit einem lauten Knall explodierte sie und unzählige Funken und Teile regneten durch die ganze Halle. Mir schien, als ob mit all diesen Funken und Teilen auch meine unsichtbaren Fesseln wegflogen. Es war schöner als das grösste und leuchtendste Feuerwerk, das ich je gesehen hatte. Befreit jubelte ich; endlich hatte ich diese blöde Maschine besiegt! Ich war der glücklichste Mensch auf Erden. Lachend vollführte ich zwischen den leblos herumliegenden Schrauben und Maschinenteilen einen Freudentanz, bis plötzlich der Chef vor mir stand. Er warf zuerst einen Blick auf das Chaos, das einmal eine Maschine gewesen war und schaute dann mich an. Merkwürdig, er schien meine Freude gar nicht zu teilen. Aber klar, er wusste ja noch gar nicht, wie es zu diesem Zustand in der Halle gekommen war. Also erzählte ich ihm von meinem Triumph. Doch er zeigte immer noch keine Freude. Im Gegenteil, er wirkte sogar ziemlich verärgert. Seltsam, warum freute er sich nicht, dass es endlich jemandem gelungen war zu zeigen, dass ein Mensch mehr wert ist als eine Maschine?

Wortlos packte er meinen Arm und zog mich in sein Büro. Dort befahl er mir, mich auf den Stuhl zu setzen, während er ein Telefongespräch führte. Ich hörte, wie er irgendwem erzählte, dass einer seiner Arbeiter den Verstand verloren habe. Ich dachte bei mir: wie schlimm für diesen Arbeiter, da es doch ohnehin schon viel zu wenig Verstand auf der Welt gibt. Und wie schwer würde es sein, den Verstand wieder zu finden. Und dann dachte ich noch, dass ich immer gut auf meinen Verstand achten wollte, um ihn nicht zu verlieren. Wo hätte ich ihn auch suchen sollen, da man dazu doch auch Verstand braucht. So drehten sich die Gedanken in meinem Kopf, bis plötzlich zwei Pfleger der Nervenklinik ins Büro traten und sich links und rechts von mir hinstellten. Da begriff ich, dass der Chef am Telefon von mir gesprochen hatte. Aber das konnte doch auch gar nicht sein. Ich dachte ja noch, also hatte ich auch meinen Verstand noch. Oder vielleicht doch nicht? Ist es vielleicht so, dass, wenn man seinen Verstand verliert, gar nicht merkt, dass man keinen Verstand mehr hat? Das könnte schon sein, weil ohne Verstand kann man ja wohl kaum verstehen und ich verstand allmählich überhaupt nichts mehr. Nur dass ich glücklich war, das wusste ich. Aber Glück ist ja ein Gefühl und hat mit Verstand nichts zu tun. Oder etwa doch? Bedeutete das vielleicht am Ende sogar, dass ich glücklich war, weil ich den Verstand verloren hatte? Ich geriet immer mehr durcheinander und so beschloss ich, mit den beiden Pflegern mitzugehen. Vielleicht konnten sie mir ja die Sache mit dem Verstand erklären.

Das ist jetzt schon so viele Jahre her, dass ich ganz vergessen habe, wie viele genau. Doch es war nicht das letzte Mal, dass ich glücklich war. In der Klinik haben sie nämlich meinen Verstand schnell wieder gefunden, und als ich nicht mehr glücklich, aber auch nicht traurig war, wurde ich entlassen. Sofort suchte ich wieder eine neue Arbeit. Dabei war mir die Arbeit selbst nicht so wichtig. Ich wollte nur herausfinden, ob ich noch andere Maschinen besiegen könnte. Aber was soll ich noch viel erzählen - im Laufe meines glücklichen Lebens habe ich jede Maschine besiegt, die meinen Weg kreuzte. Und es waren viele. So viele, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann, und das, obwohl ich zwischendurch immer wieder in der Klinik war. Mal länger, mal kürzer, aber schon ziemlich oft. So ungefähr nach jedem Sieg. Und das nur, weil ich nicht so bin wie andere Menschen. Ich habe mich nämlich nicht von den Maschinen versklaven lassen; ich habe triumphiert über sie. Am Glücklichsten stimmt mich dabei, dass ich weiss, dass mir keine Maschine auf der ganzen Welt gewachsen ist.

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